KERNKRAFT. Das belgische Parlament hat den Ausstieg vom Ausstieg vollzogen. Und will neue Meiler errichten lassen. In Dänemark wackelt das jahrzehntelange Verbot der Atomkraft.
Das Nationalparlament in Brüssel stimmte am 15.
Mai für ein Gesetz der Regierung unter dem Rechtsnationalisten Bart De Wever, mit dem die Laufzeiten der bestehenden Atomreaktoren verlängert werden sollen. Zusätzlich will die Regierung weitere Reaktoren in Auftrag geben, berichtet die Nachrichtenagentur
AFP.
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In Belgien sind derzeit vier Reaktoren in Betrieb: zwei im Kraftwerk Doel an der niederländischen Grenze und zwei im AKW Tihange bei Lüttich, rund 50
Kilometer Luftlinie von der deutschen Grenze entfernt. Ursprünglich sollten die Reaktoren bereits in diesem Jahr abgeschaltet werden. Alle vier sind bereits seit Jahrzehnten in Betrieb.
Eigentlich war der Atomausstieg schon vor 22
Jahren vom selben Parlament in Gesetz gegossen. Doch schon die Vorgängerregierung hatte im Zuge der durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Energiekrise eine Laufzeitverlängerung für die Reaktoren Tihange
3 und Doel
4 beschlossen, beide waren 1985 ans Netz gegangen. Der französische Energiekonzern Engie sagte im März zu, beide Reaktoren für die kommenden zehn Jahre weiter zu betreiben.
Die zwei übrigen Reaktoren Tihange
1 und Doel
2 sind seit knapp 50
Jahren in Betrieb und sollen eigentlich zum Jahresende abgeschaltet werden. Das nun verabschiedete Gesetz macht einen Weiterbetrieb rechtlich möglich, die Regierung müsste allerdings rasch einen Vertragspartner finden.
Der belgische Energieminister Mathieu Bihet von der liberalen Partei „Reformbewegung“ (MR) kündigte an, dafür Gespräche mit dem Betreiber Engie zu führen. Ob das Unternehmen einen weiteren solchen Vertrag eingehen will, ist allerdings unklar. „Atomkraft ist nicht mehr Teil der Strategie der Engie-Gruppe“, sagte ein Konzernsprecher
AFP.
Die Kernenergie ist angesichts der Energiekrise durch den Ukraine-Krieg und der Klimaziele EU-weit auf dem Vormarsch. Unter anderem in Frankreich und Schweden sollen zusätzliche Anlagen gebaut werden. Italien will erstmals seit Jahrzehnten wieder ein eigenes AKW bauen.
Die belgische Regierung will damit auch die Klimaziele der EU erreichen.
„Wir müssen den Anteil der Atomkraft in unserem Energiemix erhöhen, um CO2-freien Strom zu erzeugen“, sagte Minister Bihet 15.
Mai im Radiosender
Bel-RTL.
Dänemark möglicherweise auch vor KehrtwendeDänemark prüft derzeit die Aufnahme der Kernenergie in seinen Energiemix und will möglicherweise das 40-jährige Verbot dieser Energiequelle aufheben. Die Regierung werde eine Analyse der Vorteile, Risiken und des Potenzials des Einsatzes von Kernreaktoren zur Ergänzung der in Dänemark vorherrschenden Wind- und Solarenergie einleiten, sagte der dänische Energieminister Lars Aagaard diese Woche im Parlament.
Bedauern und Hoffnung in DeutschlandDas nun von dem SPD-Politiker Carsten Schneider (zuvor Steffi Lemke, Grüne) geführte Bundesumweltministerium bedauert aber die aktuelle Änderung, sagte ein Sprecher, nicht zuletzt, weil Risiken der Atomkraftnutzung nicht an Landesgrenzen Halt machten. Es bleibe abzuwarten, wie es in Belgien weitergehe. Eine Gesetzesänderung bedeute noch nicht eine tatsächliche Laufzeitverlängerung.
Schneider bekräftigte, Deutschland halte am Ausstieg fest. „Ich bin da ganz klar.
Es gibt da eine Kontinuität zur letzten Bundesregierung“, sagte er nach einem Treffen mit den Umweltministern der Länder im saarländischen Mettlach-Orscholz.
Auch das Land Rheinland-Pfalz, dessen Westgrenze 75
Kilometer vom AKW-Standort Tihange und 200
Kilometer von Doel entfernt ist, bedauerte den Schritt Belgiens. „Auch wenn es sich um eine selbstständige Entscheidung Belgiens handelt, muss klar sein, dass es sich bei den AKW um grenznahe Anlagen handelt“, erklärte Energieministerin Katrin Eder am 16.
Mai.
Die Grünen-Politikerin bestand auf einer umfassenden Sicherheitsüberprüfung der Meiler und äußerte die „Hoffnung, dass der Weiterbetrieb Wunschdenken bleibt“, wenn Betreiber Engie bei seinem Willen zum Ausstieg festhält. „Der Reaktor Doel 3, der für seine Risse und Leckagen berüchtigt war, musste abgeschaltet werden und auch der Hochrisikoreaktor Tihange 2 wurde stillgelegt“, erinnerte Eder.
// VON MBI / Georg Eble / Claus-Detlef Grossmann WENIGER