RECHT. Über allen Wipfeln ist nun Ruh’: Zwei konkurrierende Unternehmen haben ihren Streit um die Standorte von Windparks in Südwestfalen beigelegt. Vor dem OVG Münster kam es zum Vergleich.
Ich war zuerst da. Das ist ein nicht ganz unerheblicher Satz im Zusammenhang mit Flächen, um die Projektentwickler mit neuen Windparks konkurrieren. Die Rechtsprechung dazu, welche Planung Vorrecht genießt, hat längst das Bundesverwaltungsgericht erreicht. Und ist doch nicht ganz eindeutig.
// VON Volker Stephan MEHR...
Dies war jedenfalls in Münster herauszuhören, wo am 27.
Mai zwei Windkraftunternehmen aus Nordrhein-Westfalen vor dem Oberverwaltungsgericht gerne die Planungen des jeweils anderen lahmgelegt hätten. Ihren Zank hatten Westfalenwind aus Paderborn und Winterscheid Energy aus Bad Laasphe, eine Tochter der Wittgenstein-Gruppe um Ludwig-Ferdinand Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, vor die höchste NRW-Instanz getragen.
Kurioserweise konnten die Streithähne sich nicht gegenseitig verklagen, dafür brauchten sie einen Umweg. Als Schuldigen ausgemacht hatten sie den Kreis Siegen-Wittgenstein. Dieser hatte als Genehmigungsbehörde beiden Unternehmen in den Jahren 2023 und 2024 grünes Licht für benachbarte Windparks im Südwesten Bad Berleburgs erteilt. Westfalenwind darf auf den bewaldeten Höhen 19 Anlagen errichten, Winterscheid Energy vier.
Neuer Anlagentyp könnte Firma das Vorrecht des Platzhirschen kostenWestfalenwind will demnach einheitlich Vestas-Anlagen des Typs V-172 (7,2 MW, 261 Meter Gesamthöhe) bauen, Winterscheid Energy variiert zwischen V-136 und V-172 (bis 250 Meter Höhe) aus dem Hause der Dänen. Das Problem dabei: Jeweils zwei Turbinen der Firmen rücken in einem Gebiet am Berg Winterscheid sehr dicht aneinander heran. Die benachbarten Maschinen stehen in einem Abstand von 260 bis 315
Metern zueinander, das ist weniger als das Zweifache der Anlagenhöhe.
Und je dichter sie beieinander stehen, desto eher können sie störende Wirkungen aufeinander ausüben. Sie verstärken den entstehenden Lärm und können physikalisch auf die umstehenden Turbinen einwirken. Die Luftverwirbelungen (Turbulenzen) haben im schlechtesten Fall negative Folgen für die Standsicherheit.
Die Hoffnung der Antipoden war: Wer mit seinen Plänen nun zuerst beim Kreis vorstellig geworden war, könnte die unliebsamen Nachbarn aus dem Weg räumen. Dafür klagten beide Seiten auf Rücknahme der Genehmigung für den „fremden“ Windpark. Komplett. Das Oberverwaltungsgericht sollte jetzt entscheiden, welche Planung Vorrecht genießt.
Leicht machte es sich der 22.
Senat, seinerzeit eigens für die ausufernde Anzahl von Windenergie-Fällen in NRW eingerichtet, dabei nicht. Der Vorsitzende Richter Hans-Joachim Hüwelmeier ließ durchblicken, dass er eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht erwarte. Denn die sogenannten Windhundrennen um Windkraft-Flächen haben ihre Tücken im Detail.
Und das Detail im vorliegenden Fall liegt in den Änderungsgenehmigungen. Eigentlich war Westfalenwind mit den eingereichten, prüffähigen Unterlagen beim Kreis Siegen-Wittgenstein schneller. Allerdings wechselte das Unternehmen „unterwegs“ den Anlagentyp, weil die ursprünglich vorgesehenen Maschinen des kriselnden Herstellers Siemens Gamesa nicht länger im Angebot waren.
Für die neuen Maschinen erteilte der Kreis ebenfalls die Genehmigung, allerdings naturgemäß nach einer gewissen Zeit – da hatte Winterscheid Energy bereits den Segen für den eigenen Windpark erhalten. Der Windkraft-Senat am OVG Münster ließ erkennen, dass er bei einem möglichen Urteil dazu neigen würde, die Änderungen an den Westfalenwind-Anlagen als erheblich einzustufen. Konkret sind die ausgesuchten Vestas insgesamt elf Meter, die Naben zehn Meter höher, die Rotoren umspannen zwei Meter mehr, und die Kapazität ist um 0,6 MW größer.
OVG rüffelt Behörde wegen zu einfacher GenehmigungDies allein, so Richter Hüwelmeier, hätte den Kreis Siegen-Wittgenstein eigentlich veranlassen müssen, die Änderungsgenehmigung nicht so ohne Weiteres erteilen zu dürfen. Denn die Frage der erhöhten Gefahr für Nachbaranlagen durch stärkere Turbulenzen sei wichtig, welches Ergebnis neue Berechnungen oder Gutachten auch immer erbracht hätten. So oder so hätte Westfalenwind die Pole-Position, das Vorrecht für den Bau aller Anlagen, verloren.
Für das Gericht stand gleichzeitig fest, dass mit Konflikten zwischen wenigen Anlagen nicht gleich ein ganzer Windpark abzulehnen sei. Dafür stehen die weiteren Turbinen viel zu weit auseinander. In der Konsequenz hätte die Auffassung des Gerichts bedeutet, dass Westfalenwind für zwei von 19 Anlagen die Genehmigung entzogen worden wäre – unter dem Vorbehalt einer möglichen Revision wohlgemerkt.
Es kam in Münster allerdings zu einem salomonischen Ergebnis: Die Widersacher verständigten sich in einem Vergleich darauf, jeweils auf eine Anlage zu verzichten. Die am nächsten zueinander liegenden Turbinen, eine V-172 von Westfalenwind und die einzige V-136 von Winterscheid Energy, werden in Bad Berleburg nicht entstehen.
Letzte Hürde: Westfalenwind muss aufgrund einer Vielzahl von Gesellschaftern in der Projektgesellschaft erst noch das Ja-Wort aller Beteiligten einholen. Dafür bleibt bis zum 11.
Juni Zeit. Widerruft die Firma den Vergleich, muss das OVG ein Urteil fällen. Dann wäre über den Wipfeln von Bad Berleburg doch noch keine Ruh’.
// VON Volker Stephan WENIGER