Die vergangenen Tage standen im Zeichen der Versorgungssicherheit in Europa, die auf der energiepolitischen Tagesordnung der EU immer weiter nach oben rückt. Dafür gibt es verschiedene Gründe: der Krieg in der Ukraine, der die Europäische Union von ihrem traditionellen Gaslieferanten abgeschnitten hat, der Krieg im Nahen Osten, der den Ölpreis, den wichtigsten Index für die Energiepreise, nach oben treibt, und den Blackout auf der iberischen Halbinsel Ende April, der am Vertrauen in die Energiewende nagt.
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Über den Zusammenbruch der Stromversorgung in Spanien und Portugal hat die spanische Regierung in dieser Woche einen ersten Bericht vorgelegt, der allerdings keine Rückschlüsse auf die wahren Ursachen des Blackouts zulässt. Fest steht danach, dass es zu einem unkontrollierten Spannungsanstieg kam, über dessen Ursachen der Bericht aber keine Auskunft gibt. Immerhin wird erwähnt, dass das spanische Netz kurz vor dem Blackout deutlich mehr Strom aufnehmen musste als gebraucht wurde. Eine unglückliche Verkettung verschiedener Ereignisse habe dann dazu geführt, dass viele Kraftwerke automatisch vom Netz getrennt wurden.
Die Regierung in Madrid will auch deswegen keine weiterreichenden Schlussfolgerungen ziehen, weil der Netzbetreiber offenbar nicht vollumfänglich mit den Behörden zusammengearbeitet hat. Die „Systembeteiligten“ hätten sich geziert, dem Untersuchungsausschuss alle notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen. Manche von ihnen fürchten offenbar, dass sie für die Schäden des Blackouts haften sollen.
Für die Lobby der erneuerbaren Energien ist damit der Verdacht ausgeräumt, die Stromerzeugung aus Wind und Sonne habe den Blackout verursacht. Die spanischen Behörden hätten es vielmehr versäumt, das Stromnetz schnell genug auszubauen, sagt die Chefin des Global Solar Council, Sonia Dunlop: „Die alten Netze müssen schneller mit modernen Kontrollsystemen, Invertern und Batteriespeichern ertüchtigt werden.“
Vollkommen andere Schlüsse zieht aus demselben Ereignis die schwedische Energieministerin, Ebba Busch: „Das spanische System ist auch deswegen zusammengebrochen, weil es nicht genug steuerbare Grundlast gab“, sagte Busch am Rande des Energieministerrates in Luxemburg. Busch führt zusammen mit ihrem französischen Kollegen, Marc Ferraccini, den Vorsitz der sogenannten „Freunde der Atomkraft“, die sich regelmäßig vor den Tagungen des Energieministerrates treffen. In dieser Woche war zum ersten Mal auch die deutsche Wirtschaftsministerin dabei. Katherina Reiche wurde von der Atomlobby als Gast herzlich begrüßt.
Man sei sehr froh darüber, dass Deutschland „zur Technologieneutralität zurückkehrt“, sagte Busch und kündigte an, die deutsche Kollegin „beim Wort zu nehmen“. Die Deutschen würden damit Teil der „großen Mehrheit“ im Ministerrat, die die Kernkraft entweder selber nutzen oder zumindest anerkennen, dass sie ein wichtiger Teil des europäischen Energiemix‘ sei.
Ende vergangener Woche hatte auch die EU-Kommission deutlich gemacht, dass die EU ihre Klimaziele nicht ohne Kernkraft erreichen kann, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Bis 2040 müssten mehr als 90 Prozent des Stroms in Europa CO2-frei erzeugt werden, überwiegend aus erneuerbaren Quellen aber „ergänzt durch Atomkraft“, heißt es in ihrem achten Nuklearprogramm(PINC).
Die nukleare Kapazität werde von heute 98 GW bis 2050 auf 109 GW ansteigen, durch den Bau neuer Reaktoren und die Verlängerung der Lebenszeit laufender Anlagen. Den Investitionsbedarf dafür veranschlagt die Kommission auf 241 Milliarden Euro. Es sei wichtig, dass Europa die industrielle Führung in dieser Technologie behalte.
Die Freunde der Atomkraft feiern das neue Atomprogramm der Kommission als Durchbruch. Damit werde anerkannt, dass der Atomstrom einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung des europäischen Energiesystems leiste, sagt Ferracci und fordert eine Gleichbehandlung mit Strom aus Wind und Sonne. Eine sichere Stromversorgung sei nur bei „strikter Technologieneutralität“ möglich, wenn alle „emissionsfreien Energiequellen“ gleichbehandelt würden.
Dass die Sicherheit der Energieversorgung in der EU weiter in den Vordergrund rückt, ist auch das Verdienst der polnischen Regierung, die noch bis Ende des Monats den Vorsitz im Ministerrat führt. Energieministerin Paulina Hennig-Kloska hat großen Wert darauf gelegt, dass sich der Rat noch unter polnischer Präsidentschaft auf eine Linie zur „Stärkung der Energiesicherheit“ verständigt, auch wenn Ungarn und die Slowakei den Kurs „weg vom russischen Gas“ nicht mittragen.
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Tom Weingärtner. Quelle: E&M |
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