Während der Stromsektor in den vergangenen Jahren beachtliche Fortschritte erzielt hat, hinkt der Wärmesektor in Deutschland bei der Dekarbonisierung weiterhin hinterher. Eines der Kernprobleme tritt insbesondere beim Blick auf die tiefe Geothermie zutage. Sie stellt eine preisstabile, grundlastfähige und CO2-freie Wärmequelle dar, die unabhängig von Wetter und Jahreszeiten genutzt werden kann. In rund zwei Dritteln Deutschlands besteht ein Potenzial für Geothermie.
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Doch das Potenzial steht in einem eklatanten Widerspruch zur realen Projektpipeline. Nur ein Bruchteil der technisch möglichen geothermischen Wärme wird aktuell genutzt. Dabei bietet Geothermie nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch eine immense Chance: Sie kann Kommunen, Stadtwerken und privaten Abnehmern auf Jahrzehnte hinaus stabile Wärmepreise garantieren und dadurch erhebliche Kostenrisiken vermeiden, die ansonsten durch volatile Brennstoffmärkte entstehen.
Hohe Investitionskosten als MarkteintrittsbarriereGeothermieprojekte treffen auf zwei Herausforderungen: Sie sind kapitalintensiv und erfordern spezialisierte Kompetenzen für die Planung und Umsetzung. Weder die Kompetenzen noch das Kapital reichen in Deutschland derzeit aus, um Geothermie zu skalieren.
Allein für die Erkundung sind Aufwendungen von weit über einer Million Euro erforderlich. Die Bohrkosten liegen typischerweise im zweistelligen Millionenbereich. Hinzu kommen die Errichtung der Kraftwerks- oder Wärmeanlagen, die Anbindung an die Netzinfrastruktur sowie umfangreiche Genehmigungsverfahren.
Tatsächlich würden sich diese Investitionen langfristig in weiten Teilen Deutschlands lohnen – nicht nur ökologisch, sondern auch betriebswirtschaftlich und sozial. Die Möglichkeit, Wärme für mehrere Jahrzehnte zu konstanten Preisen zu erzeugen, verschafft Kommunen und Stadtwerken einen erheblichen strategischen Vorteil und entlastet Haushalte sowie Industrie von immer teureren fossilen Brennstoffen. Dennoch sind viele Stadtwerke aufgrund gestiegener Bezugskosten für Energie, Fachkräftemangels sowie der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Lage derzeit nicht in der Lage, solche Investitionen eigenständig zu stemmen.
Förderprogramme allein reichen nicht ausGerne wird beim Thema Finanzierung auf den Staat verwiesen. Zwar ist die Diskussion über den zielgerichteten Einsatz von Sondervermögen und regulatorische Rahmenbedingungen wichtig, doch darf der Aspekt der privaten Investitionen nicht außer Acht geraten. Sicherlich braucht es einen stabilen Förderrahmen – wie beim Strom das EEG –, doch darf die Debatte an dieser Stelle nicht enden. Der Staat ist ein ganz zentraler Akteur, aber eben nicht der einzige. Man macht es sich schlicht zu einfach, wenn man die Finanzierungslücke der Wärmewende exklusiv der Bundesregierung in die Schuhe schiebt.
Vielmehr ist es entscheidend, gezielt Anreize für privates Kapital zu schaffen und Investitionsrisiken planbar zu machen. Eine zentrale Herausforderung bei der tiefen Geothermie liegt in der Unsicherheit der Erkundungsphase: Selbst bei sorgfältiger Voruntersuchung kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Bohrung unergiebig ist oder weniger Ertrag liefert als kalkuliert. Dieses sogenannte Fündigkeitsrisiko schreckt potenzielle Investoren ab.
Ein wichtiger Hebel könnte daher neben der dringend notwendigen Verbesserung der geologischen Datenlage der Ausbau von Risikoversicherungsinstrumenten sein. Versicherungsfonds oder Bürgschaften, wie sie bereits in einigen Modellprojekten erprobt werden, können dazu beitragen, dass die Risikoabwägung für Banken und Investoren kalkulierbarer wird. Diese Instrumente müssen aber so strukturiert werden, dass sie das Projekt ermöglichen und nicht totrechnen. Ergänzend braucht es langfristige Abnahmegarantien durch Kommunen oder Energieversorger, um die Erlösströme abzusichern.
Ein oft unterschätztes Hindernis ist die fehlende Synchronisierung der Finanzierungsentscheidungen zwischen dem Ausbau der Wärmenetzinfrastruktur und den privaten Kapitalgebern. Selbst wenn Investoren bereitstehen, ein Bohrprojekt zu finanzieren, bleibt das Vorhaben wirtschaftlich nur tragfähig, wenn gleichzeitig die Netzinfrastruktur entsprechend ausgebaut wird. Umgekehrt scheuen viele Stadtwerke den Netzausbau, solange nicht verbindlich gesichert ist, dass ausreichend geothermische Wärme verfügbar sein wird. Diese wechselseitige Abhängigkeit kann zu Verzögerungen führen.
Deshalb braucht es abgestimmte Entscheidungs- und Finanzierungsprozesse, die beide Seiten – Wärmeerzeugung und Wärmenetze – eng verzahnen. Klare Rahmenverträge, zeitlich abgestimmte Förderzusagen und standardisierte Kooperationsmodelle können dafür sorgen, dass Investitionen parallel freigegeben werden. Nur wenn Netzbetreiber und Geothermie-Investoren ihre Finanzierungsentscheidungen gemeinsam vorbereiten und abstimmen, wird das wirtschaftliche Potenzial der Geothermie tatsächlich realisierbar.
Fazit: Ein integrierter Ansatz für wirtschaftliche Chancen und KlimaschutzDie Finanzierungslücke der Wärmewende lässt sich nicht durch ein einzelnes Förderprogramm oder Gesetz schließen. Vielmehr braucht es ein integriertes Maßnahmenpaket, das aus mehreren Elementen besteht:
- wirksame Risikoabsicherung,
- Investitionsanreize für private Kapitalgeber,
- langfristige Abnahme- und Preisgarantien,
- planungssichere und effiziente Genehmigungsverfahren sowie
- eine konsequente Einbindung der kommunalen Ebene.
Die tiefe Geothermie ist mehr als ein Nischenprojekt – sie ist ein zentraler Baustein einer klimaneutralen, resilienten und wirtschaftlich tragfähigen Wärmeversorgung. Ihr Ausbau garantiert nicht nur eine massive Senkung der CO2-Emissionen, sondern bietet auch die historische Chance, die Wärmepreise dauerhaft zu stabilisieren und lokale Wertschöpfung zu stärken. Damit aus dem theoretischen Potenzial konkrete Projekte werden, muss die Debatte endlich vom Abstrakten ins Praktische kommen. Nur durch eine konzertierte Anstrengung von Politik, Stadtwerken und privaten Kapitalgebern aus der Industrie wird es gelingen, die Wärmewende entschlossen voranzutreiben – zum wirtschaftlichen Vorteil aller Beteiligten.
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Dr. Herbert Pohl, Gründer und CEO von Deutsche ErdWärme Quelle: Deutsche ErdWärme |