Die europäische Industrie leidet unter hohen Strompreisen. Die Kosten können kurzfristig aber nicht gesenkt, sondern nur anders verteilt werden. Die EU-Kommission hatte im Februar einen Aktionsplan vorgelegt und eine Reihe von Sofortmaßnahmen vorgeschlagen. Das Brüsseler Bruegel-Institut hat untersucht, mit welchen Maßnahmen die Strompreise für die energieintensiven Branchen kurzfristig gesenkt werden könnten. Denn nicht nur die Unternehmen, auch die privaten Haushalte in der EU zahlen deutlich mehr für Strom als in anderen Ländern wie China oder den Vereinigten Staaten.
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Als Ursache hat Bruegel die wachsende Abhängigkeit von teuren LNG-Importen ausgemacht. Mit einer Entkoppelung des Strom- vom Gaspreis sei nicht vor 2030 zu rechnen. Noch länger dauert es, die Kosten für Elektrizität durch eine stärkere physikalische und wirtschaftliche Integration, durch mehr Flexibilität und den Ausbau der erneuerbaren Energien zu senken.
Kurzfristig könnte der Strom für die energieintensive Industrie (EII) billiger werden, wenn andere Verbraucher mehr bezahlen. Den größten Posten auf der Stromrechnung machten bislang die variablen Kosten für Brennstoffe und den Betrieb der Kraftwerke aus. In Zukunft werde die Bedeutung der Kapitalkosten für Windräder und PV-Anlagen deutlich zunehmen. Hinzu kämen die Kapitalkosten für Netze und flexible Technologien (Speicher, Kapazitätsmechanismen) sowie diverse Steuern.
Die Kosten für das Netz werden direkt auf die Verbraucher umgelegt, in den meisten Mitgliedsstaaten der EU auch die Subventionen für die Erneuerbaren oder für Kapazitätsmechanismen. Dort, wo die Subventionen aus dem allgemeinen Haushalt gezahlt werden, steige der Druck, andere Finanzierungsmodelle zu finden.
Bei den Steuern hat Bruegel ein Ost-West-Gefälle ausgemacht. Vor allem private Verbraucher in Westeuropa zahlen höhere Steuern als im Osten. Alleine die Stromsteuer spült den Mitgliedsstaaten 3,8
Prozent ihrer Steuereinnahmen in die Kasse. Bereits heute zahlten die privaten Haushalte wesentlich mehr für eine Kilowattstunde als die Industrie − in Deutschland mehr als das Doppelte, in Frankreich sogar mehr als das Dreifache. Das sei ein Hindernis für die Elektrifizierung des Gebäudesektors und für die Elektromobilität.
Schnelle Wirkung könnte eine Senkung der Steuern bringen. Sie wird von den Mitgliedsstaaten aber wegen der absehbaren Einnahmeausfälle nicht angepackt. Bruegel warnt vor Eingriffen in den Großhandel. Der Versuch, zusätzliche Einnahmen etwa durch eine Besteuerung von „Windfall-Profits“ zu generieren, wirke sich negativ auf die Bereitschaft aus, in die Energiewirtschaft zu investieren.
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Tom Weingärtner Quelle: E&M |
Eingriffe in die Preisbildung für Endverbraucher, die 18 Mitgliedsstaaten praktizieren, beeinträchtigen nach Ansicht von Bruegel den Wettbewerb und den effizienten Betrieb des Gesamtsystems. Allerdings mache der steigende Fixkostenanteil immer mehr staatliche Eingriffe in die Preisbildung nötig.
Bereits heute würden die Netzkosten nicht gleichmäßig auf die Verbraucher umgelegt: Im Durchschnitt zahlten private Verbraucher pro Kilowattstunde doppelt soviel für das Netz wie Unternehmen. Nach der Schätzung von Bruegel müssten die privaten Haushalte, die 45
Prozent des Stroms verbrauchen, 56 statt (wie heute) 53
Prozent der Gesamtkosten des Systems tragen, um die Energiekosten der EII auf das Niveau von 2019 zu reduzieren. Die übrigen Unternehmen(44
Prozent Verbrauch) würden weiter 40
Prozent der Systemkosten tragen. Der Anteil der EII (11
Prozent Verbrauch) würde von 7 auf 3
Prozent zurückgehen.
Während die Kosten der EII pro Kilowattstunde fast halbiert würden, müssten die privaten Haushalte bis zu 14
Prozent mehr für ihren Strom bezahlen. Die deutschen Haushalte rangieren mit 200
Euro mehr pro Jahr am oberen Ende. Das könnte mehr als ausgeglichen werden, wenn man die Mehrwertsteuer auf die Stromrechnung streicht. Die deutschen Haushalte würden dadurch 350
Euro pro Haushalt und Jahr weniger bezahlen, aber der Finanzminister hätte rund 9
Milliarden Euro weniger in der Kasse.
Bei einer Entlastung der EII empfiehlt Bruegel die Beachtung von vier Grundsätzen:
- Die Strompreise sollten sich an den Kosten orientieren. Richtige Preissignale seien die Voraussetzung für einen effizienten Betrieb des Systems.
- Eingriffe in die Preisbildung sollten auf eine Flexibilisierung der Nachfrage hinwirken.
- Negative Externalitäten (CO2) sollten bepreist werden.
- Die Fixkosten des Systems sollten vorwiegend auf die Verbraucher umgelegt werden, die sich nicht wehren können
Im Ergebnis würde das bedeuten: Die privaten Haushalte subventionieren die Industrie nicht, haben aber weniger Anreiz zu elektrifizieren, die Preise schwanken nach Auslastung des Systems und die CO2-Preise werden dabei berücksichtigt.
// VON Tom Weingärtner WENIGER