Die europäische Stromwirtschaft setzt große Hoffnung auf die Elektrifizierung des Energieverbrauchs. Aber die kommt nur schleppend voran.
// VON Tom Weingärtner MEHR...
Der Dachverband Eurelectric hatte die Chancen, die in einer anspruchsvollen Klimapolitik liegen, früh erkannt. Lange vor dem EU-Klimapakt („Green Deal“) machte sich die Stromlobby stark für eine flotte Dekarbonisierung. Grüner Strom soll den Versorgungsunternehmen neue Märkte erschließen.
Bislang haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt. Der Verkauf von Elektroautos (EV) kommt nur langsam in Gang, der Absatz von Wärmepumpen ist 2024 um mehr als 20
Prozent eingebrochen, nach einem Rückgang um fast 7
Prozent 2023. Die Zahl der Ladepunkte für EV stieg zwar um 40
Prozent, von einer gleichmäßigen Erschließung der EU für die Elektromobilität kann aber keine Rede sein: 23
Prozent der Ladestationen entfallen allein auf die Niederlande, jeweils 19
Prozent auf Deutschland und Frankreich. In Osteuropa dagegen kann von einer Ladeinfrastruktur kaum die Rede sein.
Zwar war in den ersten fünf Monaten dieses Jahres fast jedes vierte Auto, das neu zugelassen wurde, ein EV. Von den Zielen der EU sei man aber noch weit entfernt, heißt es im „Powerbarometer“, dem jährlichen Überblick des Verbandes über den Strommarkt. Ursache seien die immer noch zu hohen Preise für die EV, der Abbau der staatlichen Förderung und die vielerorts mangelhafte Infrastruktur.
Ähnlich schlecht bei Wärmepumpen und IndustriestromÄhnlich sieht es bei den Wärmepumpen aus. Viele Haushalte könnten sich ihre Anschaffung nicht leisten und seien mit der Bürokratie der Fördersysteme überfordert, heißt es. Die hohen Strompreise täten ein Übriges, um die Vorteile der Wärmepumpen gegenüber der traditionellen Gasheizung zu reduzieren. Um das Ausbauziel für 2030 zu erreichen, müssten mehr als doppelt so viele Wärmepumpen pro Jahr verkauft werden wie 2024.
Das Geschäft mit den Unternehmen läuft nicht besser. Die Nachfrage der europäischen Industrie nach Strom ist 2024 zwar um 1
Prozent gestiegen, lag aber immer noch um 7
Prozent unter dem Niveau von 2021. Das liegt vor allem an der schwachen Konjunktur. Die Industrieproduktion in Deutschland und Italien ist weiter rückläufig und inzwischen 8 beziehungsweise 6
Prozent geringer als 2021. Hinzu kommen Effizienzgewinne der Unternehmen und mehr Eigenproduktion von Energie.
Von den hohen Gaspreisen können die Elektrizitätsversorger offenbar nicht profitieren. Energieintensive Unternehmen, nicht zuletzt in Deutschland, verlagern ihre Produktion lieber in Drittstaaten, wo Energie billiger ist, statt auf grünen Strom in Europa umzusteigen.
Das Ergebnis: Der Anteil des Stromverbrauchs am gesamten Energieverbrauch Europas stagniert.
Erste Regionen beschränken neue RechenzentrenNeue Kunden findet die Branche in der Datenverarbeitung. 2024 benötigten die mehr als 1.000 Datenzentren in der EU und Großbritannien eine Leistung von 9.400
MW. Bis 2030 müssten die Versorger die Anschlussleistung für die Datenzentren mehr als verdoppeln. Die konzentrieren sich in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland und den Niederlanden, was erhebliche Anforderungen an die Netze in diesen Regionen mit sich bringe. Manche Städte und Regionen würden den Bau von Datenzentren bereits beschränken, um die Versorgung der übrigen Verbraucher nicht zu gefährden.
Unbestritten erfolgreich ist die Elektrizitätswirtschaft bei der Dekarbonisierung der Stromerzeugung. 2024 lagen die CO2-Emissionen um 57
Prozent unter denen im Jahr 2008. Die Industrie brachte es im gleichen Zeitraum nur auf einen Rückgang um 30, der Verkehr sogar nur um 7
Prozent. Die Windenergie- und vor allem die Photovoltaikanlagen kommen allerdings überwiegend aus der Volksrepublik China.
Und das auch in Zukunft: Von den 70.000
MW Solar, die pro Jahr installiert werden müssen, um die europäischen Klimaziele zu erreichen, können die europäischen Hersteller nur etwas mehr als 20.000
MW liefern. Bei Windkraftanlagen sieht es etwas besser aus. Bei Batterien holt die EU auf, ist aber ebenfalls noch weit davon entfernt, den eigenen Bedarf zu decken.
„Saubere“ Energie war im letzten Jahr weiter auf dem Vormarsch: 72
Prozent des Stroms stammte aus Erneuerbaren oder Atomkraft. Die fossile Erzeugung verzeichnete damit einen neuen Tiefstand. Insgesamt belief sich die installierte Kapazität 2024 auf 1.184.000
MW, und Eurelectric geht davon aus, dass 2030 fast doppelt so viel notwendig sein wird, um den Bedarf zu decken: 2
Millionen
MW. Davon wären nach der Prognose des Verbandes 830.000
MW PV und 590.000
MW Wind (onshore und offshore). Die Energie- und Klimapläne, die die EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel eingereicht haben, bleiben hinter diesen Wünschen um ein Viertel zurück.
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Tom Weingärtner Quelle: E&M |
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