Die Türkei könnte bis Ende 2028 mehr als die Hälfte ihres Gasbedarfs decken, indem sie die Produktion im Land steigert und die Flüssiggas-Importe aus den USA erhöht, berichtete
Reuters am 8.
Oktober. Diese Wende drohe, den letzten großen europäischen Markt für russische und iranische Lieferanten zu verkleinern.
// VON Josephine Bollinger-Kanne MEHR...
Im letzten Jahr importierte die Türkei aus Russland über die Schwarzmeergasleitungen Blue Stream und Turkstream rund 22
Milliarden Kubikmeter Gas. Die betreffenden Lieferverträge laufen zum Ende dieses Jahres aus. Mitte 2026 endet dazu der Liefervertrag mit 10
Milliarden Kubikmetern Gas im Jahr aus dem Iran, während die Verträge mit Aserbaidschan über insgesamt 9,5
Milliarden eine Laufzeit bis 2030 beziehungsweise 2033 haben.
Mehr LNG aus den USABei einem Treffen im Weißen Haus am 25.
September drängte US-Präsident Donald Trump den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan dazu, russische Energiekäufe einzustellen. Auch wenn hierauf keine offizielle Absage an Moskau folgte, weil nach Angaben der Energiemarktregulierungsbehörde (EPDK) die Nachfrage der Türkei nach Rohöl und Erdölprodukten aus Russland im vergangenen Jahr 66
Prozent und bei Erdgas 41
Prozent erreichte, ist in den Diversifizierungsbemühungen dennoch Bewegung sichtbar. So schloss die türkische Pipeline Gesellschaft Botas kurz zuvor im Rahmen der UN-Vollversammlung in New York zwei neue Verträge zur Lieferung von LNG aus den USA ab.
Gegenüber
CNN Türk betonte Energieminister Alparslan Bayraktar Anfang Oktober die Strategie, die Versorgungssicherheit seines Landes durch Diversifizierung zu gewährleisten. Er erinnerte zudem an die türkische Voraussicht aus dem Jahr
2016 über einen weltweiten LNG-Überschuss. Die tägliche Regasifizierungskapazität in der Türkei sei von damals 30
Millionen Kubikmetern auf heute 161
Millionen Kubikmeter gestiegen. Auf ein Jahr umgerechnet sind das fast 59
Milliarden Kubikmeter Gas. Damit kann die Türkei im Notfall nahezu ihren kompletten Gasbedarf per Schiff abdecken und ist gerüstet, wenn Lieferungen aus Russland, sei es durch Beschuss der Verdichterstation für Turkstream an der russischen Schwarzmeerküste oder durch direkten Druck aus Moskau, ausfallen beziehungsweise schrumpfen.
Weniger Gas aus RusslandLaut Bayraktar unterzeichnete die Türkei Verträge zum Kauf von insgesamt 143
Milliarden Kubikmetern US-LNG im Wert von 43
Milliarden Dollar (umgerechnet rund 37
Milliarden Euro). Dazu soll sich bis 2028 die Gasproduktion im Schwarzen Meer vervierfachen und 15 bis 16
Milliarden Kubikmeter jährlich umfassen. „Wir wollen, dass Istanbul zu einem wichtigen globalen Erdgashandelszentrum wird. Das weltweit günstigste Erdgas ist am US-amerikanischen Handelszentrum erhältlich, sogar günstiger als in Russland“, erklärte der Energieminister bei
Habertürk TV Anfang Oktober.
Aus den USA bezieht die Türkei Bayraktar zufolge derzeit 10
Prozent des aktuellen Gasbedarfs, für den er 60
Milliarden Kubikmeter Gas angab. In Summe importierte die Türkei im vergangenen Jahr etwa das Doppelte an LNG. Knapp die Hälfte kam davon aus Algerien. Gehen die Produktionspläne auf, und pegeln sich die LNG-Importe auf 15
Milliarden Kubikmeter wie schon 2022 ein, benötigt die Türkei für ihren Eigenbedarf inklusive Gaslieferungen aus Aserbaidschan nur noch 20
Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland und dem Iran.
Um jedoch LNG für Europa über ihr Pipelinenetz durchzuleiten, eigene Produktionsmengen zu exportieren und importiertes LNG zu reexportieren, dürfte die Türkei mit höheren russischen und iranischen Gasmengen zum Eigenverbrauch kalkulieren.
Dies hängt wiederum vom Gaspreis ab. Günstiges Gas aus Turkmenistan über den Iran und LNG aus den USA sind für die Türkei ein schlagendes Argument, bei dem Russland und der Iran einlenken müssen, um hier keine Marktanteile zu verlieren.
// VON Josephine Bollinger-Kanne WENIGER