Die Staats- und Regierungschefs der EU trafen sich am 23.
Oktober in Brüssel. Auf der Tagesordnung stand auch das Klimaziel der EU für 2040.
// VON Tom Weingärtner MEHR...
Eigentlich ist die oberste politische Ebene in der EU nicht zuständig für die Festlegung des Klimaziels. Aber die „Chefs“ haben ihre Umweltminister, die sich bereits Ende September auf einen Vorschlag der Kommission verständigen wollten, erst einmal zurückgepfiffen. Denn in der Klimapolitik der EU geht es inzwischen um mehr als die Einhaltung des zehn Jahre alten Klimaabkommens von Paris. Auf der Tagesordnung der Staats- und Regierungschefs war das Klimaziel ein Unterpunkt der „Wettbewerbsfähigkeit“.
Um die sorgt man sich in den meisten Hauptstädten der EU inzwischen mehr als um das Klima. Das Vertrauen in die von der Kommission verfolgte Strategie der forcierten Dekarbonisierung hat dagegen gelitten. Daran hält Ursula von der Leyen weiter fest. Kürzlich bekräftigte sie vor dem Europäischen Parlament, dass die Zukunft der europäischen Industrie grün sei. In nur sechs Jahren hätten sich die Exporte „sauberer Technologie“ auf 80
Milliarden Euro verdreifacht. Insgesamt exportierte die EU 2024 Güter im Wert von 2.584 Milliarden Euro.
Unterstützt wird das Narrativ der Kommission nicht nur von den einschlägigen Umweltverbänden und Teilen der Wissenschaft. Auch 150 Unternehmen, darunter Großkonzerne wie die Allianz oder SAP, werben in einem offenen Brief für ein anspruchsvolles Klimaziel von mindestens 90
Prozent. Dadurch werde die „Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber Schocks, die Energiesicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit“ verbessert.
Allerdings melden sich auch die Verlierer der Klimapolitik immer nachdrücklicher zu Wort. Ohne eine Reform des europäischen Emissionshandels ETS und des Klimazolls CBAM habe die Industrie keine Zukunft in der EU, sagt BASF-Chef Markus Kamieth. Energieintensive Branchen wie die Stahl-, Zement- oder die chemische Industrie fürchten, dass sie steigende Kohlenstoffpreise bald nicht mehr bezahlen können und drohen mit dem Verlust von Arbeitsplätzen.
In den osteuropäischen Ländern war die Klimapolitik der EU von Anfang an unbeliebt. Die Trendwende hat jedoch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron herbeigeführt. Macron hatte den grünen Kurs der Kommission zunächst unterstützt. Die Regierung in Paris sieht in der französischen Atomenergie einen Wettbewerbsvorteil, wenn es um die Dekarbonisierung geht. Die letzten Europawahlen gewannen jedoch die Kritiker der europäischen Klimapolitik am rechten Rand des politischen Spektrums – nicht nur in Frankreich.
Die EU-Kommission will das ignorieren und an ihrem Ziel festhalten, die Treibhausgase bis 2040 um 90
Prozent (gegenüber 1990) zu reduzieren. In Brüssel ist man nur insofern bereit, dem politischen Stimmungswandel Rechnung zu tragen, als ein Drittel davon auch außerhalb der EU erbracht werden kann. Die Bundesregierung hatte das zuvor zur Bedingung für die deutsche Unterstützung gemacht. Den Visegradstaaten (Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei) reicht das allerdings nicht und auch Italien will das Klimaziel der Kommission nicht unterstützen.
In den Beratungen der Staats- und Regierungschefs ging es weniger darum, welches Ziel sich die EU für 2040 setzt. Obwohl davon auch die Selbstverpflichtung der EU-Staaten für 2035 im Rahmen des Pariser Klimaabkommens abhängt – und damit die Glaubwürdigkeit des europäischen Führungsanspruchs in der internationalen Klimapolitik. Aber das spielt für die meisten EU-Staaten nur noch eine untergeordnete Rolle.
Neue Rohstoffabhängigkeiten durch seltene ErdenMacron geht es vor allem um die Rahmenbedingungen der künftigen Klimapolitik. In Paris möchte man sicher sein, dass die europäische Industrie ausreichend geschützt wird, durch eine entsprechende Regulierung, durch Entbürokratisierung, handelspolitische Maßnahmen und/oder durch neue finanzielle Hilfen.
Hinzu kommt, dass die Kommission die Dekarbonisierung auch mit dem Argument vorantreibt, dass die EU unabhängig vom Import fossiler Rohstoffe werden müsse. Das chinesische Exportverbot für seltene Erden, die vor allem für grüne Produkte gebraucht werden, zeigt jedoch neue Abhängigkeiten auf, die nicht leichter zu überwinden sind. Während China den Handel mit diesen Produkten zu rund 80
Prozent beherrscht, kann man Öl und Gas aus Russland leicht ersetzen.
Die Kommission ist vor dem Gipfel weiter auf ihre Kritiker zugegangen. Der in Osteuropa besonders unbeliebte Emissionshandel für den Verkehr und den Gebäudesektor, ETS2, solle ab 2027 nur „schrittweise und behutsam“ eingeführt werden, heißt es in einem Brief der Kommissionspräsidentin an die Staats- und Regierungschefs. 19 Staaten haben ihrerseits in einem Brief an Ratspräsident Antonio Costa klargemacht, dass sie mehr erwarten. Die EU müsse ihren Kurs ändern, „nicht nur ein wenig, sondern substantiell“.
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Tom Weingärtner Quelle: E&M |
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