In einer dramatischen Nachtsitzung haben sich die zuständigen Minister darauf verständigt, dass die EU ihre Treibhausgase bis 2040 um 90 Prozent (gegenüber 1990) reduzieren soll.
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Ihren Führungsanspruch in der internationalen Klimapolitik kann die EU damit nicht mehr wirklich untermauern. Zweimal hat die EU die Frist für die Anmeldung ihres Klimaziels im Rahmen des Klimaabkommens verpasst, da die Mitgliedsstaaten sich nicht verständigen konnten. Und der Streit ist nicht beigelegt. Das können die anderen Vertragsstaaten daran erkennen, dass die Europäer nicht mit einem festen Reduktionsziel zur Klimakonferenz nach Brasilien fahren. Sie wollen ihre Treibhausgase bis 2035 um „zwischen 66,2 und 72,5
Prozent“ senken.
Im Hinblick auf 2040 haben sich die Umweltminister zwar auf ein Reduktionsziel von 90
Prozent verständigt, aber zugleich Hintertüren geschaffen, die seine Glaubwürdigkeit infrage stellen. So dürfen die Mitgliedsstaaten 5
Prozent der Minderungen durch den Ankauf internationaler Zertifikate erbringen, weitere 5
Prozent, wenn sie wirtschaftlich in Schwierigkeiten geraten. Sollten mehr Wälder abbrennen als geplant, muss das nicht durch andere Sektoren kompensiert werden. Die Kommission muss alle zwei Jahre überprüfen, ob die Europäer weiter zu ihren Verpflichtungen stehen. Damit tragen die Umweltminister der wirtschaftlichen Lage Rechnung. Die hat sich dramatisch verschlechtert, seit Ursula von der Leyen vor fünf Jahren den „Green Deal“ zur Rettung des Klimas ausgerufen hat.
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Tom Weingärtner Quelle: E&M |
Besonders im Hinblick auf die energieintensiven Branchen hat er sich als ökonomischer Fehlschlag erwiesen. Anders als uns die Apologeten der Energiewende versprochen haben, ist Energie durch den forcierten Ausbau der Wind- und Sonnenenergie nicht preiswerter, sondern immer teurer geworden. Auf dem Elektrizitätsmarkt führt der politisch verordnete Ausstieg aus der Kohle dazu, dass teurere Gaskraftwerke immer häufiger den Preis bestimmen. Hinzu kommt, dass die EU mehr für Gas bezahlen muss, seit sie nicht mehr auf billiges Leitungsgas aus Russland zurückgreifen kann. Höhere Energiekosten verursacht auch der Netzausbau, der nötig wird, um der dezentralen Erzeugungsstruktur der Erneuerbaren gerecht zu werden. Schließlich muss die Industrie immer mehr für Emissionszertifikate bezahlen.
Tatsächlich ist die Energiewende noch teurer, denn Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe übernimmt alleine in Deutschland der Staat im Rahmen des EEG, für die Entlastung der Netzbetreiber, für die Strompreiskompensation. Hinzu kommen Investitionsprämien für grüne Industrieprojekte.
Bessere Voraussetzungen für ChinaDas alles verhindert nicht, dass strategisch wichtige Branchen wie die Stahl- oder die Chemieindustrie immer mehr ins Hintertreffen geraten, besonders im Vergleich zu China. Die Voraussetzungen in der Volksrepublik China sind gänzlich anders. China baut sein Energiesystem gerade auf und nimmt weiter neue Kohlekraftwerke ans Netz, die wahrscheinlich bis zum Ende des Jahrhunderts Strom erzeugen. Die europäischen Energiekonzerne müssen dagegen Kohlekraftwerke mit hohen Verlusten abschreiben, die nur wenige Jahre gelaufen sind, damit die EU ihre Klimaziele erreicht.
In Brüssel begreift man nur langsam, dass man die Leistungs- und Anpassungsfähigkeit der europäischen Industrie überschätzt hat. Unter dem Druck der Mitgliedsstaaten versucht die Kommissionspräsidentin gegenzusteuern, kommt dabei aber nur langsam voran. Rechtlich bleiben die Vorschriften in Kraft, die besonders die deutsche Industrie belasten und das Wachstum bremsen. Bei dem Versuch, wenigstens die größten Auswüchse rückgängig zu machen, gleicht Ursula von der Leyen Goethes Zauberlehrling: die Geister, die sie rief, wird sie nicht mehr los.
Vereinfachung des Klimazolls abgelehntErst in der vergangenen Woche hat das EU-Parlament ihren Vorschlag zur Vereinfachung des Klimazolls abgelehnt, mit dem kleinere Importeure entlastet werden sollen. Das nun beschlossene Klimaziel, das im internationalen Vergleich immer noch sehr anspruchsvoll ist, sieht auch daher so blass aus, weil die von der Leyen in der Vergangenheit den Mund zu voll genommen hat. Dass die EU ihre Treibhausgase im nächsten Jahrzehnt fast doppelt so schnell reduzieren könnte wie in der laufenden Dekade, war von Anfang an eine Illusion.
Darauf haben die Umweltminister die Kommission jetzt hingewiesen. Die Einführung des Emissionshandels für Gebäude und den Straßenverkehr (ETS2) wird um ein Jahr verschoben und das System so überarbeitet, dass die Preise für Benzin und Heizgas nur langsam steigen.
Auch der Kostenanstieg für die Industrie soll verlangsamt werden. Der Plan, Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, keine Gratiszertifikate mehr zuzuteilen, kommt ebenso auf den Prüfstand wie das Verbrennerverbot. Der Kurswechsel in der Klimapolitik hat damit aber erst begonnen.
// VON Tom Weingärtner WENIGER