Die von Brüssel geplante Energieunion bleibt ein Projekt, das vor allem auf dem Papier steht. Die Energiepreise in Europa sind zwar seit 2022 deutlich zurückgegangen, liegen aber nach dem jüngsten Bericht der EU-Kommission zum Aufbau einer „Energieunion“ weiter „erheblich über denen unserer Wettbewerber“. Die Kommission hat dafür zwei wichtige Ursachen identifiziert: erstens die weiterhin hohe Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Für die Einfuhr von Kohle, Öl und Gas mussten die EU-Staaten im letzten Jahr 375
Milliarden Euro bezahlen. Als zweite Ursache hat die Kommission „strukturelle Ineffizienzen“ ausgemacht, die vor allem auf die „unvollständige Integration des EU-Elektrizitätssystems zurückzuführen“ sind.
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Der grenzüberschreitende Stromhandel generiere bereits heute Kostenvorteile von 34
Milliarden Euro pro Jahr. Er bleibe damit aber deutlich hinter den Möglichkeiten eines echten Strombinnenmarktes zurück. Das Redispatching, das durch Engpässe im europäischen Stromnetz notwendig wird, verursache pro Jahr Kosten von 5,2
Milliarden
Euro, heißt es in dem Bericht. Ohne einen gezielten Ausbau der Netze könnten diese Kosten in fünf Jahren auf 26
Milliarden Euro pro Jahr ansteigen. Insgesamt könnten die Vorteile durch „eine vertiefte Marktintegration und eine bessere Governance“ bis 2030 um 40 bis 43
Milliarden Euro pro Jahr
steigen.
Einen substanziellen Fortschritt beim Aufbau eines echten Binnenmarktes für Strom konnten in diesem Jahr auf jeden Fall die baltischen Staaten verzeichnen, deren Stromnetz endgültig mit dem Rest der EU synchronisiert wurde. Das Baltikum wurde damit energiepolitisch unabhängig von Russland.
Langsamer Ausbau der ÜbertragungsnetzeInsgesamt geht es beim Ausbau der Übertragungsnetze aber nur langsam voran. Eine „kritische Herausforderung“ stelle insbesondere die Speicherkapazität dar. Obwohl 2024 in der EU mehr Speicher ans Netz gingen als in den Vorjahren, bleibe die Kapazität mit 61 GWh weit hinter den Erfordernissen zurück. Bis 2030 würden mindestens 200 GWh benötigt.
Die Abhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen verursacht nicht nur Kosten für den Import, unter anderem aus Russland, sondern belastet auch die öffentlichen Haushalte. Um Unternehmen und Privathaushalte von den hohen Energiekosten zu entlasten, stellten die Mitgliedsstaaten 2024 zwar nur noch halb soviel Subventionen bereit wie 2023, aber immer noch 18 Prozent mehr als 2021. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen stelle weiter ein Risiko für die Versorgungssicherheit dar, sagt die Kommission, auch wenn der Anteil der Einfuhren aus Russland im August nur noch bei 12
Prozent lag.
Flüssiggas ist zwar auf dem Weltmarkt verfügbar, aber in Brüssel möchte man in Zukunft nur noch „sauberes LNG“ haben, was die Zahl der Anbieter, die man eigentlich vergrößern wollte, wieder einschränkt. Wichtige LNG-Erzeuger wie die USA oder Katar drohen damit, ihre Lieferungen einzustellen.
Der Ausbau der Wind- und Solarkraft ist 2024 weiter vorangekommen. Insgesamt nahm die installierte Leistung um 78.000
MW (plus 17
Prozent) zu. Auch bei der Senkung des Energieverbrauchs gibt es Fortschritte (die Zahlen stammen allerdings von 2023). Bemerkenswert ist der Rückgang um mehr als sechs Prozent in Wohngebäuden. Die Industrie verbrauchte 5,4
Prozent weniger Energie als 2022, was auch auf die schwache Konjunktur zurückzuführen sein dürfte
(die Kommission macht dazu keine Angaben). Sowohl beim Ausbau der Erneuerbaren als auch bei der Verbesserung der Energieeffizienz werde die EU ihre Ziele 2030 nur erreichen, wenn die Transformation beschleunigt werde.
Trotzdem ist die Kommission zuversichtlich, dass die Union ihre Treibhausgase wie geplant weiter senken kann, „wenn die Mitgliedsstaaten die nationalen Energie- und Klimapläne parallel zur EU-Politik umsetzen“. Dafür müssten sie allerdings wesentlich mehr Geld in die Hand nehmen. Bislang bleiben die Investitionen in die Transformation deutlich hinter jenen 660
Milliarden Euro pro Jahr zurück, die man in Brüssel für erforderlich hält.
Die Kommission hat daher zahlreiche Programme aufgelegt, Strategien beschlossen, Aktionspläne verabschiedet und Vorschläge unterbreitet, um den Aufbau der Energieunion zu beschleunigen. Es gibt einen „Aktionsplan für erschwingliche Energie“, einen „Fahrplan für die Beendigung der Energieeinfuhren aus Russland“, „Leitlinien zur Förderung vorausschauender Netzinvestitionen“ oder den „Strategieplan für Energietechnologie“, um nur einige zu nennen. Und es wurde eine „Taskforce für die Energieunion“ gebildet, die „politische Impulse“ geben soll, die offenbar dringend benötigt werden. Das Meiste davon ist nicht verbindlich oder muss, wie der Stopp für Gasimporte aus Russland, noch vom Ministerrat und vom Parlament beschlossen werden.
An den Versprechen, die in Brüssel mit der Energieunion verbunden werden, will die Kommission keine Abstriche machen. Die tatsächlichen Fortschritte beim Aufbau der Energieunion bleiben aber überschaubar.
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Tom Weingärtner Quelle: E&M |
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