Kapazitätsmechanismen (Capacity Mechanisms, CM) sollen die Dunkelflaute überbrücken. Für den grenzüberschreitenden Handel mit Strom könnten sie allerdings zu einem Hindernis werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Denkfabrik Bruegel über Kapazitätsmärkte in der EU: „Ein Flickenteppich von CM, die sich an nationalen Wünschen orientieren, ist geeignet, den Wettbewerb zu schwächen und die Effektivität von Investitionen zu beeinträchtigen.“
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Tatsächlich sind die Mitgliedsstaaten der EU längst dabei, CM einzurichten. Am weitesten haben es bislang die Franzosen gebracht, die keine Gelegenheit auslassen, ihre Unternehmen mit Subventionen zu erfreuen. Zehn Prozent der Umsätze im französischen Stromgroßhandel stammten inzwischen aus Zahlungen im Rahmen von Kapazitätsmechanismen, haben die Experten von Bruegel ermittelt. Signifikante Beträge erhielten auch polnische, italienische und irische Erzeuger dafür, dass sie Kapazitäten für den Fall der Fälle bereithalten.
Marktteilnehmer, die einen Beitrag zur Stabilisierung des Systems leisten, erhalten dafür im Rahmen von Kapazitätsmechanismen eine Vergütung – zusätzlich zu den Erlösen für den Stromverkauf. Infrage dafür kommen Kraftwerke, aber auch Speicher oder Verbraucher, die bereit sind, ihre Nachfrage anzupassen. Bislang würden vor allem Kraftwerke begünstigt, heißt es in der Studie. Erst in jüngster Zeit hätten auch die Betreiber von Speichern oder größere Verbraucher Zahlungen aus CM erhalten.
Manche Regierungen machten sich Sorgen, dass nicht genug in flexible Kapazitäten investiert werde, andere fürchteten Preisspitzen in Zeiten, in denen das Angebot der Erneuerbaren nicht ausreiche, die gesamte Nachfrage zu decken. Kapazitätsmechanismen seien dann geeignet, die notwendigen Investitionen auszulösen. Allerdings seien die nationalen Anforderungen sehr unterschiedlich. Länder, in denen viel mit Strom geheizt werde, orientierten sich etwa an der maximalen Nachfrage im Winter. Anderen Regierungen gehe es vor allem darum, eine ausreichende Erzeugung sicherzustellen, wenn nicht genug grüner Strom zur Verfügung stehe. Auch Engpässe im Übertragungsnetz könnten ein Grund sein, CM einzurichten.
Deckung von Lastspitzen auch grenzüberschreitend möglichDie Experten von Bruegel unterscheiden Kapazitätsmärkte und „zielführende Optionen“. Für Kapazitätsmärkte gibt es zentrale und dezentrale Lösungen. Im ersten Fall verpflichtet eine Behörde oder der Übertragungsnetzbetreiber einen Anbieter, im Bedarfsfall zu liefern. Die Übertragungsnetzbetreiber seien allerdings risikoscheu und neigten dazu, mehr Reserven unter Vertrag zu nehmen als notwendig sei.
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Tom Weingärtner Quelle: E&M |
In dezentralen Kapazitätsmärkten müssen die Erzeuger oder die Verteilnetzbetreiber selbst dafür sorgen, dass sie ihre Verpflichtungen jederzeit erfüllen können, etwa durch eigene Speicher oder Termingeschäfte an der Börse. Dieses Modell wird auch von Teilen der deutschen Wirtschaft (DIHK, EXX) favorisiert.
Bei Bruegel warnt man allerdings vor der großen Komplexität dezentraler Lösungen. Unabhängig vom eigentlichen Elektrizitätsmarkt gibt es die „strategische Reserve“ (das bisherige deutsche Modell), bei der Kraftwerke, die nicht am normalen Strommarkt teilnehmen, dafür bezahlt werden, dass sie eine bestimmte Kapazität bereithalten.
Schließlich gibt es die Ausschreibung einer bestimmten Menge „steuerbarer Kapazität“, die ohne Beihilfen nicht gebaut würde. Dieses Modell soll für eine sichere Versorgung sorgen. Die deutsche Kraftwerksstrategie bleibt nach Ansicht der Bruegel-Experten aber nicht ohne Folgen für die unmittelbaren Nachbarn Deutschlands. Denn der deutsche Elektrizitätsmarkt sei nicht nur der größte und der liquideste in der EU. Rund 40 Prozent des deutschen „peak load“ könnten über Interkonnektoren auch von Erzeugern jenseits der deutschen Grenzen gedeckt werden.
Nationale Kapazitätsmechanismen entwickelten sich immer mehr zu einem festen Bestandteil der Elektrizitätswirtschaft, sie hätten aber auch erhebliche Auswirkungen auf Investitionsentscheidungen jenseits der nationalen Grenzen. Ohne eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit könne es dazu kommen, dass zu viel oder zu wenig investiert werde. Aber Ausschreibungen für neue Kapazitäten würden de facto innerhalb der Mitgliedsstaaten abgewickelt. Hohe Netzkosten machten die Beteiligung von Anbietern aus den Nachbarstaaten oft unattraktiv. Zumal die Netzbetreiber nicht gerade erpicht darauf seien, die Kapazität grenzüberschreitender Interkonnektoren auszubauen, wenn dadurch ihre Margen unter Druck gerieten.
Entscheidend sei jedoch, dass sich die Mitgliedsstaaten nicht darauf verlassen wollten, im Notfall auch aus anderen EU-Staaten beliefert zu werden. Das würde zwar gegen die Regeln des Energiebinnenmarktes verstoßen, es gebe aber „Zweifel, ob diese Regeln im Ernstfall durchgesetzt“ werden könnten. Die Regierungen bevorzugten deswegen CM heimische Anbieter.
// VON Tom Weingärtner WENIGER